F1-Inside mit Stefan Ehlen

Pleiten, Pech und Pannen: So kann Ferrari nicht um den WM-Titel kämpfen

Ferrari hat mit Charles Leclerc und Carlos Sainz zwei tolle Fahrer und ein schnelles Auto. Aber die Italiener haben auch viele Probleme, die im Kampf um den WM-Titel in der Formel 1 hinderlich sind. F1-Experte Stefan Ehlen analysiert die aktuelle Lage bei der Scuderia.

Ferrari
Credit: Getty Images

Mattia Binotto kann es nicht mitansehen. Der Ferrari-Teamchef verschwindet beim Österreich-Grand-Prix in der Schlussphase vom Kommandostand, um sich abzulenken, dass sein Team zittern muss. Zittern, weil nicht klar ist, ob der zweite Ferrari F1-75 durchhält oder genauso ausfällt wie der erste. Aus dem Ferrari-Aufschwung der Saison 2022 wird zunehmend ein Ferrari-Albtraum.

Dabei hatte alles so gut begonnen: Doppelsieg beim Auftakt in Bahrain inklusive Führung in der Weltmeisterschaft. Dazu ein konstant schnelles Auto. Ferrari war wieder wer in der Motorsport-"Königsklasse" nach Jahren des Misserfolgs und der sportlichen Talfahrt. Die Euphorie um das wiedererstarkte Traditionsteam war riesig.

Noch Anfang Juni beschrieb ich an dieser Stelle, wie Ferrari diese Trendwende geschafft hat und welche Erfolgsfaktoren dazu beigetragen haben. Jetzt schreibe ich darüber, warum der große Ferrari-Aufschwung zu verpuffen droht, keine sechs Wochen später.

Die Ferrari-Haltbarkeit ist schlecht

Die "grande macchina" aus Maranello erweist sich als defektanfälliges Auto. Schon der Ausfall von Charles Leclerc beim Spanien-Grand-Prix, in Führung liegend, war bitter für Ferrari. Aber sowas passiert schon mal, darf mal passieren.

In Aserbaidschan aber ist Leclerc erneut ausgefallen und sein Ferrari-Teamkollege Carlos Sainz gleich mit. Wieder die Technik, genau wie in Österreich bei Sainz. Macht zusammen drei Ausfälle in nur vier Rennen, und das ist zu viel.

Schlimmer noch: Ferrari wirkt ratlos. Denn Teamchef Binotto muss einräumen, es habe sich beim Motorschaden von Sainz in Österreich "sehr wahrscheinlich" um den gleichen Defekt gehandelt, der Wochen vorher schon Leclerc in Aserbaidschan mattgesetzt habe. Eine Lösung dafür ist bisher nicht gefunden.

Das wird für Ferrari zunehmend zum Problem, weil Red Bull im Gegenzug fast fehlerfrei unterwegs ist, zumindest mit Max Verstappen, dem derzeit Führenden in der WM. Ferrari wiederum droht vor der Sommerpause den Anschluss in der Formel 1 zu verlieren, weil das Auto zickt.

Zwei siegfähige Fahrer, ein großes Problem

An anderer Stelle hat Ferrari längst den Anschluss verloren: bei der Priorisierung seiner Fahrer.

Vor sechs Wochen beschrieb ich die Ausgangslage in der WM als geradezu ideal, weil sich Ferrari praktisch vollkommen auf Leclerc konzentrieren könne – so, wie das Team früher schon auf Michael Schumacher, Fernando Alonso oder Sebastian Vettel gepolt war. Eine Strategie, die man eigentlich gut kennt in Maranello, die oft kontrovers war, aber meist erfolgreich.

Diese Strategie wendet Ferrari dieses Jahr nicht an. Man könnte fast meinen: Es gibt überhaupt keine Strategie bei Ferrari.

In Großbritannien etwa ließ das Team den langsameren Sainz über Runden vor dem schnelleren Leclerc fahren, der trotz Schaden am Auto den besseren Speed hatte. Statt klare Ansagen zu treffen, ließ sich der Ferrari-Kommandostand von Sainz beeinflussen: Der schindete immer noch eine Runde heraus vor einem Positionswechsel, und noch eine. Am Ende gab es keinen internen Platztausch.

Und später im Rennen, als das Safety-Car auf die Strecke kam, nahm Ferrari die Gelegenheit zum Boxenstopp für Leclerc als Führenden im Rennen nicht wahr, holte stattdessen Sainz zum Reifenwechsel herein. Zwar gewann Sainz das Rennen, aber Leclerc wurde nicht etwa Zweiter, sondern nur Fünfter. Der Eindruck entstand: Eigentlich hat der falsche Ferrari-Fahrer gewonnen.

Wohl auch deshalb ging Teamchef Binotto nach dem Rennen auf Leclerc zu, sprach mit erhobenem Zeigefinger zu seinem Fahrer. Ganz nach dem Motto: Sag bloß nichts Unüberlegtes, wenn du gefragt wirst. Dann traf er sich nur wenig später mit Leclerc in Monaco zu einem klärenden Gespräch. Ergebnis unbekannt.

Was fehlt, ist eine klare Linie bei Ferrari

Der Grand Prix in Österreich ein paar Tage danach hat aufgezeigt, woran es Ferrari derzeit fehlt: an einer klaren Linie. Denn im Sprintrennen duellierten sich Leclerc und Sainz zu Beginn so sehr miteinander, dass Verstappen vorne leichtes Spiel hatte und davonfuhr.

So steht Ferrari nach den Pleiten, Pech und Pannen der jüngsten Wochen vor der Wahl: Weiter so wie bisher und Chance um Chance vergeuden. Oder klare Spielregeln im Rennen und konsequente Entscheidungen vom Kommandostand.

Wahrscheinlich noch besser wäre die Konzentration auf nur einen Fahrer. Das kann bei Ferrari nur Leclerc sein. Er wurde 2019 als neuer Spitzenmann geholt, löste Vettel als Teamleader ab und erhielt einen langfristigen Vertrag, mit dem Fingerzeig: Mit dir wollen wir Weltmeister werden! Davon ist derzeit aber wenig zu spüren.

Auch Leclerc selbst dürften inzwischen Zweifel gekommen sein. Zweifel daran, ob Ferrari technisch und strategisch dazu in der Lage ist, ihm eine echte Titelchance zu bieten. Dabei ist er Ferraris einzige Hoffnung gegen Verstappen: Er ist in den meisten Fällen schneller als Sainz, insgesamt das bessere "Allround-Paket". Einfach der Mann, auf die Scuderia setzen muss, wenn die Saison 2022 für Ferrari noch ein gutes Ende nehmen soll.

Es müssen also Entscheidungen getroffen werden in Maranello. Und das schnell.

Zur Person: Über Motorsport schreiben - das wollte Stefan Ehlen schon in jungen Jahren. Seit 2008 tut er das für die marktführenden Motorsport-Portale in Deutschland: Formel1.de, Motorsport-Total.com und, seit 2015, Motorsport.com – immer mit dem Schwerpunkt Formel 1. 2019 veröffentlichte er mit "Grand-Prix-Geschichte(n)" ein Sachbuch zur F1-Historie. Er spricht regelmäßig in Podcasts und auch als TV-Kommentator.

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