Mehr Sport

Lange verpönt, mittlerweile Pflicht: Die Geschichte der Schutzmaske

Menschen, die keine Maske tragen wollen und für diese Überzeugung die eigene Gesundheit aufs Spiel setzen, kennen Sie aus den Nachrichten? Es gab sie über Jahrzehnte auch im Sport. Wir erzählen, wie die Schutzmaske ihren Weg in den US-Sport fand.

Eishockey-Torwart Jacques Plante, Erfinder der Hockey-Maske
Credit: Getty Images

>> Olympia-Medaillenspiegel & Ergebnisse <<

"ICH HIELT IHN FÜR EINEN SCHWÄCHLING", sagte Black-Hawks-Torwart Glenn Hall über Jacques Plante, der sich bei einem Eishockey-Spiel am Tag nach Halloween 1959 im Madison Square Garden mit Maske ins Tor der Montreal Canadiens stellte. Schließlich, so erklärte Rangers-Tormann Gump Worsley, würde eine Maske doch den Puck zu seinen Füßen verbergen! "Ich werde nie eine tragen", schwor er unter dem Beifall von Rangers-Manager Muzz Patrick, der befand, Masken würden die Zuschauer eines Grundrechts berauben. "Die Masken nehmen den Fans etwas. Sie wollen die Männer sehen." 

Canadiens-Trainer Toe Blake hatte Plante an jenem Abend die Erlaubnis erteilt, während des ersten Drittels seine Maske zu tragen, nachdem Plantes unmaskierte Nase durch einen Schuss beinahe weggerissen worden wäre. Bis dahin hatte Blake Tormann Plante die Maske zwar im Training, nicht aber bei Spielen gestattet. Er fürchtete, die betrunkene Meute könnte sich andernfalls über Plante lustig machen. "Aus Blakes Sicht hatte ein Torhüter mit Maske Angst vor dem Puck. Er wertete die Maske als ein Anzeichen von Feigheit", schrieb Todd Denault in seiner Biografie "Jacques Plante", deren Untertitel "The Man Who Changed the Face of Hockey" ein ziemlicher Spoiler ist. Denn mit den Jahren wurden Masken beim Eishockey Teil der Standard-Schutzausrüstung, auch gegen den Widerstand so einflussreicher Männer wie Blake und Patrick. 

Einige Wochen nachdem Plante zum ersten Mal mit Maske gespielt hatte, setzte Bruins-Torhüter Don Simmons ebenfalls eine auf, und nach und nach gaben die Maskengegner ihren Widerstand auf. College-Eishockey-Trainer ließen Gesichtsabdrücke von ihren Torhütern anfertigen und zu Glasfasermasken gießen. "Die Jungs sollten allesamt gezwungen werden, Masken zu tragen", sagte Boston-College-Coach John Kelley. In den niedrigeren Jugendligen wurde der Maskengebrauch verpflichtend. "Ich bin sicher, die neuen Masken retten gerade pro Woche einem Torhüter ein Auge", sagte der Direktor des Minnesota-Bantam-Turniers 1962, bei dem damals noch keine Maskenpflicht herrschte. "Einer der Jungs hat einen Puck direkt in die Visage bekommen. Nichts passiert."

Plante waren im Tor beide Wangenknochen zerschmettert worden, er hatte sich mehrere Gehirnerschütterungen eingehandelt, sich die Nase gebrochen und sich so viele Platzwunden nähen lassen, dass sein Gesicht an Gobelinstickerei erinnerte – einen mittelalterlichen Wandteppich mit dem Motiv eines katholischen Märtyrers vielleicht. In einer Zeit, in der das Tragen von Masken als unmännlich galt, brauchte es jemanden wie Plante, der sich nicht weiter dafür interessierte, was andere von ihm hielten. Auf den Zugfahrten zu den Spielen las er, schrieb und strickte sich Torhüterunterwäsche. Als er bei jenem schicksalhaften Spiel in New York seine Maske trug, hatte er bereits sechs Spielzeiten hinter sich, war 31 Jahre alt und überzeugt davon: Masken retten Leben. Und er war sicher, dass die Maske sein Überleben im Profi-Sport spürbar verlängern würde. 

Gump Worsley (rechts), damals Torwart der Montreal Canadiens, pariert 1968 gegen Gerry Goyer (in weiß) von den Chicago Blackhawks – ohne Schutzmaske
Credit: Getty Images
x/x

HOCKEY IST NICHT die einzige US-Subkultur, in der das Tragen von Masken als unmännlich galt. Während der Grippeepidemie 1918 gab es scharenweise "Maskendrückeberger", die lieber im Gefängnis landeten oder Geldbußen zahlten, als sich das Gesicht zu bedecken. Als das Rote Kreuz während der großen Dürreperiode, die in den 1920er- und 1930er-Jahren den Mittleren Westen heimsuchte, 10.000 Masken nach Oklahoma schickte, winkten die Einheimischen nur ab. 1935 reiste ein Reporter mit Staubmaske in das Städtchen Guymon, tauschte sie aber rasch gegen einen Cowboy-Hut ein. "Wenn man nicht als Feigling gelten will", schrieb er, "sollte man in diesem Teil von Oklahoma besser keine Staubmaske tragen." Und in der nordamerikanischen Sportlandschaft sah es nicht viel anders aus. Schutzbekleidung – von Helmen bis zu Suspensorien – wurde erst ins Lächerliche gezogen und boykottiert, um schließlich von der breiten Masse akzeptiert zu werden. Harvard-Baseball-Spieler James Tyng trug 1877 bei einem Spiel gegen die Boston Red Stockings eine Catcher-Maske, die Mannschaftskapitän Fred Thayer extra für ihn nach dem Vorbild einer Fechtmaske entworfen hatte. "Die Zuschauer waren amüsiert und riefen, er solle ‚den Maulkorb abnehmen‘ oder es ‚mal ohne den Vogelkäfig probieren'", erzählte Bostons legendärer Shortstop George Wright. Das war 1886, als die Catcher-Maske im Baseball bereits zur Standard-Schutzbekleidung geworden war und jährlich 12.000 Exemplare über den Ladentisch gingen – häufig übrigens über den von Wrights eigener Sportartikelfirma Wright & Ditson. "Ich habe sofort erkannt, dass die Maske eine gute Sache war", sagte Wright. 

Während des Zweiten Weltkriegs, als in Großbritannien und den USA Gasmasken auch an Zivilisten verteilt wurden, spielte das Air-Force-Basketball-Team der Basisstation in Maxwell Field, Alabama, in den sperrigen Dingern, um sich für den Ernstfall auf dem Schlachtfeld an das Tragegefühl zu gewöhnen. 1942 mit Gasmaske einen Schnellangriff zu laufen war garantiert weitaus beschwerlicher, als 2022 im Supermarkt eine Stoffmaske zu tragen. Trainer Lieutenant Robert Goldstein berichtete dennoch, die Männer hätten "eine Menge Spaß dabei gehabt". 

Im Football waren Gesichtsmasken auch in den 1940er-Jahren noch ein seltener Anblick. Hauptsächlich wurden sie von Spielern getragen, die eine abheilende Verletzung schützen wollten. Dass Masken Verletzungen auch verhindern konnten, war ein bislang wenig verbreiteter Gedanke. Die 1950er aber wurden auch abgesehen von Plante zum goldenen Zeitalter der Masken, womöglich nicht zuletzt deshalb, weil der maskierte Lone Ranger damals zu den beliebtesten Serienfiguren im neuen Medium Fernsehen zählte. "Ich trage meine Maske weiter", sagt die Hauptfigur zu Sidekick Tonto. "Unsere Arbeit hat gerade erst begonnen." Genauso wie die Ära der Masken. Als Trainer Johnny Sweatlock 1953 in seiner Football-Mannschaft an der Ramsey High in New Jersey Masken einführte, sagte er über seine jugendlichen Spieler: "Die Jungs sind keine Memmen, sie sind einfach nur intelligent." Im darauffolgenden Jahr verzeichneten 75 Prozent aller Highschool-Mannschaften mindestens einen Spieler mit Gesichts- und Mundschutz, und 89 Prozent der Trainer ermutigten ihre Spieler zum Tragen von Masken. 

Zu diesem Zeitpunkt waren Masken unter NFL-Spielern bereits weitverbreitet. 1955 forderte George Preston Marshall, der die Mannschaft der US-Hauptstadt Washington besaß, den Liga-Präsidenten Bert Bell auf, den Maskengebrauch zu verbieten. "Wenn ein Spieler eine Maske tragen muss", sagte Marshall, "sollte er gar nicht Football spielen dürfen." 32 der 33 Washington-Spieler waren anderer Meinung. Tackle Don Boll, der sich bei Nebraska siebenmal die Nase gebrochen hatte, sagte: "Wenn sie mir die Maske weggenommen hätten, hätte ich den Profi-Football an den Nagel gehängt." Tight End Norb Hecker, der während seiner Zeit bei den Rams sechs Zähne verloren und sich den linken Wangenknochen gebrochen hatte, sagte: "Ob ich für Masken bin? Yes, Sir!" Es war eine hart erarbeitete Weisheit. Diese Spieler wussten, dass der Mythos "maskenlos = männlich" vor allem eins war: glatt gelogen. 

LA-Rams-Quarterback Bob Waterfield (Nummer 7) setzt 1950 im Spiel gegen die Baltimore Colts zum Tackle an – zwar mit Helm aber ohne Maske
Credit: Getty Images
x/x

Marshalls Ansichten waren nicht mehr zeitgemäß, und das nicht zum letzten Mal. 1960 – ein Jahr nachdem Plante das Eishockey-Spiel revolutioniert hatte – wurde das Tragen eines Gesichtsschutzes im Highschool-Football bereits verpflichtend, und sofort waren Ergebnisse zu sehen. Der Anteil an Spielern mit Gehirnerschütterungen sank laut American Medical Association von 3 pro 1000 (1954) auf 2 pro 1000 (1960). 1954 wurden im Highschool-Football noch 9 von 1000 Nasen gebrochen, sechs Jahre später waren es nur noch 2 von 1000. Auch die Zahnverletzungen wurden reduziert, von 22 pro 1000 auf 12 pro 1000. George Bennett, Unfallchirurg am Johns Hopkins Hospital in Maryland, erklärte, der Football-Gesichtsschutz aus Stahl sei "eine offene Einladung, jemandem den Kiefer zu brechen oder die Zähne auszuschlagen". In Wahrheit aber machten die Masken den Football sicherer. 

Und nicht nur den Football. Als die College-Eishockey-Coaches 1980 monierten, die Spielermasken würden dazu verleiten, mit hohem Stock zu spielen, sagte Augenarzt und Harvard-Dozent Paul Vinger: "Jeder objektive, wissenschaftlich interessierte Mensch, der sich die Daten ansieht, muss zu dem Schluss kommen, dass die Spieler Masken tragen sollten." 

DOCH WAS MASKEN BETRIFFT, blieb die Stimme der Wissenschaft häufiger ungehört. Ab den 1960ern gab es in jeder Mannschaft einen Sniper, der den Schlagschuss beherrschte und den Puck in ein Geschoss verwandelte. Dennoch tauschte Montreal im Sommer 1963 Plante gegen Worsley aus, womöglich weil Plante eine Maske trug und Worsley nicht – und Trainer Blake sich immer noch einen Torhüter wünschte, der bereit war, sich den Hartgummigeschossen von Angesicht zu Angesicht zu stellen. "Mir fällt kein anderer Grund ein, weil Plante fantastisch war und ich schon 35", sagt Worsley, der damals bereits einer aussterbenden Art angehörte und mit jedem Jahr in größerer Gefahr schwebte. Seine Kollegen schützten sich inzwischen nahezu alle mit Masken. Glenn Hall, der es einst geschafft hatte, bei einem einzigen Spiel mit 25 Stichen genäht werden zu müssen und Plante wegen der Maske anfangs für einen "Schwächling" gehalten hatte, legte 1968 als Spieler der Blues nun selbst eine an. Zu diesem Zeitpunkt war er 37 und teilte sich die Torwartposition mit dem 40-jährigen Plante. 

Bei einem von Raufereien geprägten Spiel im Jahr 1971 riss Rangers-Forward Vic Hadfield dem Maple-Leafs-Torwart Bernie Parent die Maske ab und warf sie in die Zuschauermenge im Madison Square Garden. Die Fans gaben sie immer weiter, damit sie nicht in Reichweite der Sicherheitsmänner geriet, und ließen sie schließlich verschwinden. Wie vor ihm Plante weigerte sich Parent – der nur diese eine Maske besaß –, ungeschützt weiterzuspielen. Also wurde er gegen Torontos Ersatztormann ausgetauscht: Jacques Plante, der nun mit knapp 42 wieder hier am Schauplatz seines historischen Auftritts spielte. Einige Abende später stand Parent wieder im Tor, nun mit einer neuen Maske, die er für 150 US-Dollar hatte anfertigen lassen – von einer Firma aus Montreal, die Plante gehörte. 

Gump Worsley zählte noch immer nicht zu Plantes Kunden. Er schlug sich weiter ohne Maske durch und zog sich dabei grauenhafte Verletzungen zu. Einmal verfärbte sich sein Ohr nach einem Schuss kohleschwarz. Die Narbe an seinem rechten Arm war ein Andenken von Hulls Schlittschuhkufe. "Das Blut floss wie Suppe", erinnert sich Gump an den Unfall. Nachdem Gump 1960 einen Zahn verloren hatte und mit mehreren Stichen genäht werden musste, setzte er noch einen drauf und verkündete, er würde nicht mal beim Training Maske tragen. In seiner liebenswürdigen Art befand Worsley, "Platzwunden im Gesicht sollten im Eishockey nicht als Verletzungen gelten". Außerdem, fuhr er fort, könne man sich ja jederzeit neue Zähne besorgen. 1971, er war 42, wurde langsam wehmütig, und um ihn herum trugen nahezu alle Torhüter Maske, seufzte er: "Jetzt ist es zu spät für mich, auf Masken zu setzen. Die Talentscouts vom Film haben mich längst abgeschrieben." 

Aber es ist nie zu spät, das Richtige zu tun. Und so hatte Worsley eine kleine Offenbarung. Ein Gebiss mag zwar beim Kauen helfen – aber ein Glasauge hilft nicht beim Sehen. 1974, als 45-jähriger Torwart der Minnesota North Stars, trug Gump während der letzten sechs Spiele seiner 21-jährigen NHL-Karriere eine Maske. "Ich hatte noch beide Augen", erklärte er seine Entscheidung. "Da beschloss ich, Gott für diese kleine Gefälligkeit zu danken." Zwischen Plantes Masken-Revolte 1959 und Worsleys Bekehrung 1974 war die NHL von 6 auf 16 Mannschaften angewachsen, weswegen von Zug- auf Flugreisen umgestellt wurde. So angstbefreit Worsley im Tor auch sein mochte – Fliegen versetzte ihn in Panik. 

Plante hörte 1975 mit dem Profi-Sport auf und zog in die Schweiz, flog aber weiterhin regelmäßig nach Nordamerika. Und wie der flugängstliche Worsley hörte auch Plante die Stewardessen auf den Transatlantik-Flügen Mal für Mal das fordern, was er so viele Jahre zuvor ohnehin schon getan hatte: Nase und Mund mit einer Maske zu bedecken, ehe er anderen half.

Mehr Sport-News: 

Ski-Ass Felix Neureuther spricht im Interview mit Sports Illustrated über den Klimawandel. Der 37-Jährige erklärt, wie sich der Skisports in Zukunft verändern muss und findet deutliche Worte zur Vergabe der Olympischen Winterspiele nach Peking.

Wie ist das, wenn man mit 34 fast schon bereit für die Rente ist? In ihrer Kolumne für Sports Illustrated schreibt Andrea Petkovic über französischen Rotwein, ihre Regeneration nach den Matches, jüngere Kolleginnen sowie das Älterwerden als Profi-Tennisspielerin.

Nationalspieler Niklas Süle wird den FC Bayern im Sommer verlassen. Der Innenverteidiger schlägt ein Fünfjahres-Angebot des Rekordmeisters aus. Das bestätigt Vorstandschef Oliver Kahn. Somit ist Süle am Saisonende ablösefrei. Interessenten stehen schon bereit.