Deutschlands neue Box-Hoffnung: Ammar Abduljabbar - der Fighter, der Boxer wurde
Inhalt
Kick Off
24 HOW IT STARTED
Timo Werner über seine Fußball-Anfänge
26 SO MACHT MAN DAS
Martin Schmitt erklärt uns, wie der perfekte Skisprung gelingt
27 VIER FRAGEN AN ...
Handball-Nationalspieler Timo Kastening
28 ZAHLEN, BITTE!
Facts zur Formel 1
29 TROPHY-CHECK
Die Kunstkritik zur Vince Lombardi Trophy
30 SHOPPING
Dinge, die wir mögen – zum Verschenken oder Behalten
32 KULTUR
Sport auf allen Kanälen: Die neuen Filme, Bücher und Serien
34 ESSENTIALS
Weitsprung-Olympiasiegerin Malaika Mihambo öffnet für uns ihre Sporttasche
35 HISTORY
Ein Football-Helm, der Geschichte schrieb
36 FACES TO WATCH
Boxer Ammar Riad Abduljabbar, Fußballer Nicolas Seiwald, Fußballerin Nicole Billa
39 AUFSCHNITT
Der Baseball unter dem Skalpell
40 RANKING
Die Yankees-Cap kennt (und hat) jeder. Diese fünf nicht!
42 FRAGE AN DEN TRAINER
Manuel Baum weiß, wann Fußballvereine ihre Spieler am besten verkaufen sollten
44 KOLUMNE
Patrick Esume über die Hot Week vor dem Superbowl
46 KOLUMNE
Andrea Petkovic über das Älterwerden als Sportlerin
48 KOLUMNE
Jürgen Schmieder über seine Liebe zu den Clubs aus Los Angeles
Storys
52 COVERSTORY: JULIAN NAGELSMANN
Der Trainer soll den FC Bayern München in eine neue Ära führen. Wie das klappen kann, verrät er uns im Interview. Zudem erläutert ein Experte die Nagelsmann-Taktik
64 CRISTIANO RONALDO
Der Superstar von Manchester United ist wertvoll für seinen Club – als Fußballer genauso wie als mächtigster Influencer der Welt
70 ROGER FEDERER
Der Tennis-König kämpft um eine letzte Rückkehr auf den Court. Klappt das?
78 DIE QUARTERBACK- EVOLUTION
Spieler wie Aaron Rodgers und Patrick Mahomes haben das Quarterback-Spiel auf ein neues Level gehoben. Eine Analyse
88 SEBASTIAN VOLLMER
Der ehemalige Patriots-Profi spricht im Interview über die NFL-Games in Deutschland
90 LUKA DONCIC
Wie der neue Coach Jason Kidd den Mavericks-Star noch besser machen will
96 OLYMPIA
Drei deutsche Snowboard-Hoffnungen im Porträt. Plus: Felix Neureuther über Klima, Spiele in China und die Zukunft des Sports
104 LEON DRAISAITL
Der deutsche NHL- Superstar spricht mit uns über Wayne Gretzky, Olympia und den Traum vom Stanley Cup
110 ABER SICHER?
Ob man besser eine Maske tragen sollte (oder nicht), war auch im Sport ein lange umstrittenes Thema
116 SI LEGENDS: MICHAEL JORDAN
Vor 30 Jahren kürte ihn Sports Illustrated zum „Sportsman of the Year“ – ein Rückblick
124 WIR WOLLEN DOCH NUR SPIELEN
Jede Sportkarriere – auch unsere – endet irgendwann. Wie können wir das Ende möglichst lange hinauszögern? Unser Autor macht sich auf die Suche
"ICH BIN EIN UNORTHODOXER BOXER", sagt Ammar Riad Abduljabbar relativ am Anfang unseres Gesprächs: "Wenn Sie meine Kämpfe sehen, werden Sie wissen, was ich meine."
Was er meint, ist ein Kampfstil, der so in keiner Boxschule gelehrt würde. Der 26-jährige Deutsch-Iraker aus Hamburg wechselt fließend zwischen Links- und Rechtsauslage, schlägt aggressiv, beidseitig hart und peitschenartig schnell. Nicht selten lässt er seine Deckung fallen, bietet das Gesicht feil. Schwingt der Gegner, ist Abduljabbar aber oft schon abgetaucht, wippt eine Etage tiefer mit dem Oberkörper erratisch nach links und rechts, zieht den Kopf blitzschnell weg. Und dann: der Konter, der Dampfhammer aus dem Untergeschoss. Zur Leber, zur Schläfe, zum Kinn – ding, dong!
Eine gewisse Ähnlichkeit zum "Peek-a-boo"-Style, jenem "Guck-guck-Spiel", das Mike Tyson berühmt gemacht hat, ist nicht von der Hand zu weisen. Dieser Stil erlaubt gedrungen-muskulösen Boxern (Abduljabbar ist 1,80 m groß bei einem Normalgewicht von circa 88 Kilogramm), die Distanz zu größeren Gegnern zu verkürzen, ohne dabei ihre Defensive aufgeben zu müssen. Obendrein ist es großes Entertainment, Kämpfern zuzusehen, die eine solche Art zu boxen beherrschen. Und obgleich sich Abduljabbar, mehrmaliger Norddeutscher Meister, jegliches Boxtalent beinahe vehement abspricht ("Ich bin kein talentierter Boxer, sondern ein guter Kämpfer."), ist er ein Boxer, dem man wirklich gerne zusieht.
Abduljabbars Vater, der seinen Sohn 2010, kurz nach dessen Ankunft in Deutschland, zum Boxen bewegte, war übrigens großer Fan von Mike Tyson. Dem Jungen selbst gab der Sport zunächst wenig. "Ich bin im Irak geboren, und bis zu meinem 14. Lebensjahr war ich auch dort. Das Einzige, was wir kannten, war arbeiten und Geld verdienen. So etwas wie Sport gab es bei uns nicht." Die ersten zwei Jahre im Ring waren hart. Seinem Vater zuliebe blieb er aber dabei.
Dieser hatte den Irak 2003 zu Fuß in Richtung Deutschland verlassen. Sechs Monate war er unterwegs. Die Hoffnung, die ihn antrieb, war die Heilung seines Sohnes Mukhtar, Ammars jüngerem Bruder, der mit einem Herzfehler geboren wurde. 2010 gelang es dem Vater, die Familie – Ammar, seine beiden Geschwister und die Mutter – nachzuholen. Der Bruder wurde hier erfolgreich operiert.
Die Zeit bis zum Nachzug war hart — der Vater war fort, im Irak herrschte Krieg. Mit neun begann Ammar zu arbeiten, stand morgens um drei Uhr auf und verkaufte Plastiktüten auf dem Markt. Später schaffte er sich eine Schubkarre, schließlich einen kleinen Lieferwagen an, aus dem er Obst, später Gas verkaufte, außerdem half er auf Baustellen mit. Zur Schule ging er nicht. „Mein ganzes Leben war ein Kampf“, sagt er. Tagtäglich trug er seinen schwerkranken Bruder auf dem Rücken und verteidigte ihn, wenn nötig. "Wo wir waren, in einem Dorf, hatte der Schwächere keinen Platz. Es gab Leute, die ihn anfassen oder schlagen wollten. Das war mein erster Kampf: meinen Bruder zu beschützen, immer."
Sein bislang berühmtester Kampf war wohl das Viertelfinale des olympischen Schwergewichts-Turniers in Tokio Ende Juli, wo Abduljabbar gegen den russischen Weltmeister Muslim Gadschimagomedov antrat. Der 1,94-m-Hüne aus Dagestan überragte den Hamburger gleich zweimal: in Körpergröße und Reichweite. Und wer nur aus olympischem Anlass Boxen schaute, hätte wohl eine Peinigung Abduljabbars befürchten können. Aber der Deutsche Meister von 2018 lieferte einen Fight, der Lust auf das Boxen und auf diesen Boxer machte. Er schlug schnelle, harte Schwinger, die an diesem Tag leider zu selten ins Ziel fanden, und wurde selbst – das lässt sich bei seinem Boxstil kaum vermeiden – einige Male hart getroffen. Doch so hart die Treffer auch waren, es kam einem so vor, als schmunzelte der Hamburger, um seinem Gegner zu bedeuten: Come on, Junge! Du kannst mir keinen Schmerz zufügen, den ich nicht schon kenne, den ich nicht aushielte.
Ein solcher Schmerz könnte ihm und seiner Familie nun allerdings von anderer Seite zugefügt werden: Noch vor Olympia erreichten die Familie zwei Schreiben vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Die Asylanträge seiner Mutter und seines Bruders seien abgelehnt. Ihnen droht nun also die Abschiebung in den Irak. Müsste seine Mutter zurück, sagte Abduljabbar zuletzt wiederholt, würde er alles, was er sich hier aufgebaut habe, zurücklassen und mit ihr gehen. Im Gespräch antwortet der Boxer auf die Frage, ob er denn wütend sei auf die Behörden, auf Deutschland: "Nein, auf gar keinen Fall! Kein Mensch, keine Nation ist perfekt."
Der Sportsoldat führt ein Beispiel an: "Du hast jemanden, der alles für dich getan hat. Er hat dich unterstützt; er hat dafür gesorgt, dass du leben, zur Schule gehen, deinen Traum verwirklichen kannst. Und dann macht diese Person einen kleinen Fehler, was auch immer – würdest du diese Person hassen?", fragt er und antwortet selbst: "Nein, würdest du nicht! Deutschland hat meinen kleinen Bruder gerettet, jetzt sollen er und meine Mutter abgeschoben werden. Sauer bin ich nicht. Ich werde natürlich dafür sorgen, dass es nicht passiert. Man sollte mit Problemen klarkommen, man kann aus ihnen so viel lernen. Ich meine, die Niederlagen haben mich vorangebracht, nicht die Siege."
Anfang Oktober gab Ammar Riad Abduljabbar sein Profi-Debüt, kämpfte im Cruisergewicht (eine Gewichtsklasse unter dem Schwergewicht) gegen den Ukrainer Sviatoslav Svyryd. Dem versetzte er schon in der ersten Runde eine ganze Reihe so schmerzhafter Leberhaken, dass dessen Betreuer das Handtuch warf. Weitere Profi-Kämpfe sollen bald folgen. "Um der Beste zu werden, muss man auch mit den Besten kämpfen." Kurz vor Olympia 2024 in Paris wird er noch einmal zurück ins Amateurlager wechseln, um erneut um olympisches Gold kämpfen zu können. Dass er als Fünfter, ganz ohne Medaille, aus Tokio zurückkam, arbeitet bis heute in ihm. "Ich weiß ganz genau, was ich will. Und ich erwarte nicht, dass es zu mir kommt. Ich nehme mein Schicksal selbst in die Hand, zu 100 Prozent!"
Mehr Sport-News:
Ski-Ass Felix Neureuther spricht im Interview mit Sports Illustrated über den Klimawandel. Der 37-Jährige erklärt, wie sich der Skisports in Zukunft verändern muss und findet deutliche Worte zur Vergabe der Olympischen Winterspiele nach Peking.
Wie ist das, wenn man mit 34 fast schon bereit für die Rente ist? In ihrer Kolumne für Sports Illustrated schreibt Andrea Petkovic über französischen Rotwein, ihre Regeneration nach den Matches, jüngere Kolleginnen sowie das Älterwerden als Profi-Tennisspielerin.
Nationalspieler Niklas Süle wird den FC Bayern im Sommer verlassen. Der Innenverteidiger schlägt ein Fünfjahres-Angebot des Rekordmeisters aus. Das bestätigt Vorstandschef Oliver Kahn. Somit ist Süle am Saisonende ablösefrei. Interessenten stehen schon bereit.