San Antonio Spurs

NBA-Star Victor Wembanyama: Manchmal muss mich mein Trainer anschreien

Basketball-Wunderkind Victor Wembanyama will in seiner zweiten Saison mit den San Antonio Spurs immer besser werden – und immer weiter lernen. Dabei helfen ihm neben seiner Neugier auch härtere Methoden wie das Anschreien seines Trainers.

Victor Wembanyama im Trikot der San Antonio Spurs
Credit: Jeffery A. Salter
  • Victor Wembanyama: Im Leben gibt's mehr als nur Basketball
  • NBA-Star Wembanyama: "Ich will angeschrien werden"
  • Astronaut und Fantasy-Figuren machen Wembanyama mental stark

Victor Wembanyama will über etwas Wichtiges sprechen. Etwas Lebensveränderndes, sagt er. Es geht um ein Buch. Besser gesagt: Bücher. "The Witcher", eine Reihe von Fantasy-Romanen über einen Monsterjäger mit übernatürlichen Fähigkeiten. Es hat drei Jahre gedauert, sagt Wembanyama, aber nun hat er sie endlich fertig gelesen. "Es ist unglaublich", sagt Wembanyama. "Wenn man dieselben Figuren über Jahre hinweg verfolgt, hat man das Gefühl, sie wirklich zu kennen."

Victor Wembanyama
Victor Wembanyama
Credit: Jeffery A. Salter
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Es ist nicht nur das "Witcher"-Universum, das ihn in seinen Bann zieht. Es ist "Der Hobbit". "Game of Thrones". "Berserk", eine japanische Manga-Serie. "Eigentlich jedes gute Stück Kunst", sagt der 20-Jährige. Während Trainer von Paris bis San Antonio Wembanyamas Basketballfähigkeiten entwickelten, haben Figuren aus Mittelerde und Westeros seinen Geist geformt. "Die Erzählungen sind so detailliert, dass man auch die Lektionen lernt, die der Autor vermitteln möchte", sagt Wemban­yama.

Victor Wembanyama: Kunst, Literatur, Wissenschaft – und Basketball

Es sind die Gespräche, die der junge Franzose genießt. Über Kunst und Literatur, Wissenschaft und Science-Fiction. "Er ist von Natur aus neugierig", sagt der legendäre Spurs-Trainer Gregg Popovich. In der vergangenen Saison arrangierte Wembanyamas Agent, Bouna Ndiaye, ein Treffen zwischen Wembanyama und Thomas Pesquet, einem französischen Astronauten. "Wenn man die beiden reden hörte", sagt Ndiaye, "wusste man nicht, wer von ihnen der Astronaut war."

Während einer Reise nach Utah am Ende der Saison traf sich Wembanyama mit Brandon Sanderson, einem Fantasy-Autor. Im August arrangierte Popovich, dass Peniel Joseph, ein Experte für die Geschichte der Black-Power-Bewegung, vor einer Gruppe von Spielern über das Wahlrecht sprach. Wembanyama, der als französischer Staatsbürger nicht in den USA wählen darf, blieb im Anschluss länger, um weitere Fragen zu stellen.

Wembanyama selbst findet seine Wissbegierde nicht ungewöhnlich. "Ich möchte die Dinge einfach verstehen", sagt er. Sein Umfeld sieht das anders. "Egal, was man ihm erzählt: Er nimmt es auf", sagt Brian Wright, General Manager der Spurs, über Wembys besondere Art. "Und wenn man das nächste Mal mit ihm spricht, weiß er bereits mehr über das Thema." Er gilt als jemand, der jedes noch so kleine Detail eines jeden Geschäfts, an dem er beteiligt ist, verstehen will.

Jordan Howenstine, der sich im PR-Team der Spurs primär um Wemban­yama kümmert, glaubt, er hätte Karriere in der Luft- und Raumfahrttechnik machen können. Popovich denkt eher an einen Schriftsteller. Und Wembanyama meint, er hätte Physiotherapeut werden können. "Ich habe für die Zukunft viele Ideen", sagt Wembanyama. "Im Leben wird es um mehr gehen als nur um Basketball."

Victor Wembanyama erzielt Punkte in der NBA
Artistisch: Victor Wembanyama kombiniert Athletik und Physis mit einer einzigartigen Scoring-Fähigkeit.
Credit: Getty Images
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Als Basketballer ist er schon jetzt überragend. Im Sommer 2023 wurde Wembanyama mit hohen Erwartungen in die NBA gedrafted – und übertraf sie alle. Ihm gelangen in seiner ersten Saison im Schnitt 21,4 Punkte und 10,6 Rebounds pro Spiel, er führte die Rangliste bei den geblockten Würfen an, wurde zum Rookie des Jahres gekürt und belegte den zweiten Platz bei der Wahl zum besten Verteidiger der Liga. "Ich habe so viel gelernt", sagt Wembanyama, der alle Skeptiker zum Schweigen gebracht hat, die ihn aufgrund seiner schlaksigen Statur und im Hinblick auf die Strapazen einer NBA-Saison infrage gestellt hatten.

Wembanyama: "Fühle mich eher müde, wenn ich im Urlaub bin"

Nach dem Ende seiner ersten Saison kehrte Wembanyama nach Frankreich zurück, besuchte Familie und Freunde. Wembanyama mag Struktur. Einen Zeitplan. Er bezeichnet sich selbst manchmal als "Maschine". Deswegen ist die NBA mit ihren unbegrenzten Ressourcen perfekt für ihn. "Wir haben das Beste vom Besten", sagt er. Die meiste Zeit verbringt er in der Einrichtung der Spurs, wo sich mit Köchen, Trainern und Physios alles, was er braucht, unter einem Dach befindet. "Er möchte, dass sein Leben eine Ordnung hat", sagt Coach Popovich.

Unter anderem auch deswegen schaltet Wembanyama jeden Abend um 21 Uhr sein Handy in den Flugmodus und verschwindet in einem Roman. "Es ist irgendwie paradox", sagt er. "Ich fühle mich eher müde, wenn ich im Urlaub bin."

Die Nachricht kam überraschend. Nach seinem NBA-Rücktritt im Jahr 2020 hatte Jamal Crawford, ein schlauer Scorer, eine Karriere als Personaltrainer begonnen. Im März vibrierte Crawfords Handy. "Victor würde gern mit dir trainieren", schrieb Agent Ndiaye. "Hättest du nach der Saison Zeit, nach Texas zu kommen?" Wembanyama, der seinen Dreierwurf verbessern wollte, bewunderte, wie Crawford die Verteidiger abschütteln konnte, und hoffte, ein paar Tipps zu bekommen. Im Juni flog Crawford nach San Antonio. Mehrere Tage lang trainierten die beiden.

"Es ist wirklich erschreckend, wie schnell er lernt", sagt Crawford. "Er hatte innerhalb weniger Minuten Fußarbeit und Rhythmen drauf, für die ich Jahre gebraucht hatte." Abends gingen die beiden zum Abendessen, wo Wembanyama Crawford über Basketball ausfragte. "Ich habe noch nie einen 20-Jährigen wie ihn getroffen", sagt Crawford. "Mit ihm zu arbeiten, ist eine der großartigsten Sachen, die ich im Basketball jemals erleben durfte."

Victor Wembanyama: Franzose kann alles sein, was er will

Genau das ist das wirklich Erschreckende an Wembanyama: Er versucht nicht, in einer Sache großartig zu sein. Er will in allem großartig sein. Die letzte Saison war für die Spurs und ihren jungen Center eine Zeit des Ausprobierens. Offensiv wechselte Wemban­yamas Rolle in jedem Spiel. "Wir wollten sehen, was alles möglich ist, wo er sich am wohlsten fühlt und wohin es ihn zieht", sagt Popovich – und Wembanyama lieferte. Ein 38-Punkte-Spiel gegen die Suns im November. Einen Monat später 20 Rebounds gegen die Bulls. Im Februar zehn Blocks gegen die Raptors. Die Fähigkeiten – beängstigende, noch nie da gewesene Fähigkeiten – waren vorhanden. Er musste sie nur kombinieren.

Popovich hat die Herausforderung angenommen. Er hatte einst Tim Duncan auf Vordermann gebracht, Tony Parker entwickelt und die Fähigkeiten von Manu Ginóbili genutzt. Mit Wembanyama bekam Popovich nun einen Spieler, der mehr Talent mitbrachte als jeder der Genannten. Die Aufgabe bestand darin, diese noch rohen Fähigkeiten zu verfeinern. Zunächst konzentrierten sich Popovich und Wembanyama auf die Fußarbeit. Der Coach zeigte seinem Spieler Videos von Michael Jordan und Kobe Bryant. Wippschritte, Drehungen, Pump Fakes. "Wir haben darüber gesprochen, wie wichtig es ist, eine solide und disziplinierte Basis zu legen", sagt Popovich.

Victor Wembanyama und Gregg Popovich
Mit Gregg Popovich (rechts) hat Wembanyama einen der legendärsten NBA-Trainer aller Zeiten als Mentor und Förderer an seiner Seite
Credit: Getty Images
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Wembanyama sog alles auf. Er liebt Informationen, sehnt sich förmlich danach. Er stellt Fragen, verschlingt Scouting-­Berichte. "Zu sehen, wie gründlich, detailliert und diszipliniert er in diesem Alter war", sagt General Manager Wright, "das war einfach umwerfend." Für Wembanyama geht es vor allem da­rum, die Dinge instinktiv zu tun. Alle seiner einzigartigen Bewegungen und Aktionen sind das Ergebnis jahrelanger Übung.

"Mein Spiel zu verbessern, bedeutet für mich, nicht zweimal nachzudenken, wenn man etwas Verrücktes tun will. Ich glaube nicht, dass ich ein Spiel hatte, in dem ich wirklich alles eingesetzt habe. Nicht ein einziges. Ich möchte irgendwann eine Vielzahl von Werkzeugen haben, die ich wirklich beherrsche. Ich möchte keine einzelne Rolle auf dem Spielfeld haben. Ich will nicht der Shotblocker sein. Ich will nicht der Scorer sein. Ich will nicht der Spielmacher sein. Ich will all das in einem sein."

Victor Wembanyama: Diesen NBA-Rekord könnte er bald knacken

Wie sich das in dieser Saison zeigt: Bereits im fünften Spiel legte Wemby gegen die Utah Jazz mit 25 Punkten, neun Rebounds, sieben Assists, fünf Steals und fünf Blocks ein "5x5", also mindestens je fünf Punkte, Vorlagen, Rebounds, Steals und Blocks auf. Rekordhalter der legendären Fünferstatistik ist Hakeem Olajuwon, der in 1.238 Spielen die Marke sechsmal knackte. Wembanyama kommt bereits auf zwei "5x5"-Spiele – in gerade mal 76 NBA-Auftritten. Auch an seiner Physis arbeitete der Franzose – und wiegt mittlerweile über zehn Kilogramm mehr als in seinem Rookiejahr. Mit Crawford arbeitete er unter anderem daran, wie er mit körperlich stärkeren Verteidigern umgeht.

"Mein körperliches Potenzial...", sagt Wembanyama und überlegt. "Ich weiß nicht, was noch möglich ist. Ich bin sicher, dass es noch nicht vollständig ausgeschöpft ist. Ich will so arbeiten, dass ich eines Tages die Chance habe, neue Dinge zu erfinden." All das möchte er bei den Spurs in San Antonio schaffen. Wembanyama hat sich vollständig dem Spurs-Projekt verschrieben – und Popovich. Der Ex-Air-Force-Offizier ist der ideale Trainer für den Star, der sich nach Struktur sehnt.

"Das Wichtigste, was man als Spieler über ihn wissen muss, ist, dass er zuerst an den Menschen denkt", sagt Wembanyama über seinen Coach. "Er weiß, dass ich manchmal angeschrien werden muss, wenn ich denselben Fehler mehrmals hintereinander mache. Ich brauche das, und ich will angeschrien werden. Ich habe keine Zeit zu verschwenden. Und er auch nicht."

Victor Wembanyama blockt einen Wurf
Urgewalt: Mit einer Größe von 2,24 Metern und einer Armspannweite von 2,44 Metern ist Wembanyama einer der besten Shotblocker der Welt
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Vergangene Saison verlor San Antonio 60 Spiele. Wembanyama stand in 52 davon auf dem Platz. Doch die Niederlagen waren erwartet worden, die Dynastie der Spurs bröckelte schon seit Jahren. Parker, das letzte Überbleibsel der 2014er-Meistermannschaft, trat 2019 bei den Hornets zurück. In den vergangenen Jahren ging es vor allem darum, den jungen Kader zu fördern und Spieler zu entwickeln. In dieser Saison soll das anders sein. "Wenn man anfängt zu gewinnen, hilft das auch der Entwicklung", sagt Popovich. "Die Spieler beginnen, das Licht am Ende des Tunnels zu sehen."

Victor Wembanyama (rechts) im Pick-and-Roll mit Chris Paul (links)
Victor Wembanyama (rechts) im Pick-and-Roll mit Chris Paul (links)
Credit: Getty Images
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In ihrer Blütezeit führten erfahrene Spieler die Spurs zu ihren NBA-Titeln. Das soll in dieser Saison Veteran Chris Paul übernehmen, den San Antonio mit einem Einjahresvertrag über elf Millionen Dollar ausgestattet hat. "Man könnte bis zum Umfallen coachen und 60 Mal dasselbe sagen", sagt Popovich. "Aber manchmal ist es einfach besser, wenn es von jemand anderem kommt."

Popovich versucht währenddessen, die Erwartungen, die an Wembanyama gestellt werden, zu dämpfen. Er verwies auf Nikola Jokic, dreifacher MVP. Erst in seiner achten Saison gewann Jokic den NBA-Titel. Popovich fragte Wembanyama, wie viele von Jokics Teamkollegen in Denvers Titelsaison 2023 von Anfang an dabei waren. "Die Antwort ist null", sagt Popovich. "Es war das Gleiche mit LeBron, das Gleiche mit Michael Jordan. Es braucht Zeit. Man braucht Geduld."

Victor Wembanyama: Neues Jahr, neue Erfolge?

Wembanyama hat verstanden. Er genießt San Antonio: die Spurs und die Stadt. Er ist ein Blickfang, aber in einer Stadt, der zwei Meter große Basketballstars vertraut sind, fügt er sich ein. Er besucht Museen und Einkaufszentren, ist Stammgast im "Shiro", einem japanischen Bistro. Wembanyama sagt: "Sie geben mir hier das Gefühl, ein ganz normaler Mensch zu sein." Das letzte Jahr, sagt Wembanyama, "fühlte sich wie ein Traum an, wie ein Spaziergang im Schatten".

Und dieses Jahr? "Völlig anders", sagt er. "Ich kann das alles, was ich tue, immer noch nicht so ganz begreifen, aber zumindest habe ich meine Gewohnheiten." Eine davon: Ob von einem Trainer, einem Mitspieler, einem Astronauten oder einem Professor – Wembanyama lernt ständig dazu.



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