NBA

Allein auf dem Gipfel

1991 dominiert Michael Jordan die NBA wie kein Basketballer vor ihm – und wird von Sports Illustrated als „Sportsman of the Year“ ausge­zeichnet. Mit diesem Porträt ehrte Jack McCallum vor 30 Jahren einen der größten Sportler aller Zeiten

NBA-Legende Michael Jordan
Credit: Walter Iooss Jr.
Sports Illustrated 01/22
Magazin
Sports Illustrated 01/22
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Inhalt

 

Kick Off

24 HOW IT STARTED 
Timo Werner über seine Fußball-Anfänge

 

26 SO MACHT MAN DAS 
Martin Schmitt erklärt uns, wie der perfekte Skisprung gelingt 

 

27 VIER FRAGEN AN ... 
Handball-Nationalspieler Timo Kastening 

 

28 ZAHLEN, BITTE! 
Facts zur Formel 1 

 

29 TROPHY-CHECK
Die Kunstkritik zur Vince Lombardi Trophy 

 

30 SHOPPING
Dinge, die wir mögen – zum Verschenken oder Behalten 

 

32 KULTUR
Sport auf allen Kanälen: Die neuen Filme, Bücher und Serien 

 

34 ESSENTIALS 
Weitsprung-Olympiasiegerin Malaika Mihambo öffnet für uns ihre Sporttasche 

 

35 HISTORY
Ein Football-Helm, der Geschichte schrieb 

 

36 FACES TO WATCH 
Boxer Ammar Riad Abduljabbar, Fußballer Nicolas Seiwald, Fußballerin Nicole Billa 

 

39 AUFSCHNITT 
Der Baseball unter dem Skalpell 

 

40 RANKING
Die Yankees-Cap kennt (und hat) jeder. Diese fünf nicht! 

 

42 FRAGE AN DEN TRAINER
Manuel Baum weiß, wann Fußballvereine ihre Spieler am besten verkaufen sollten 

 

44 KOLUMNE 
Patrick Esume über die Hot Week vor dem Superbowl 

 

46 KOLUMNE
Andrea Petkovic über das Älterwerden als Sportlerin 

 

48 KOLUMNE
Jürgen Schmieder über seine Liebe zu den Clubs aus Los Angeles 
 


Storys

52 COVERSTORY: JULIAN NAGELSMANN 
Der Trainer soll den FC Bayern München in eine neue Ära führen. Wie das klappen kann, verrät er uns im Interview. Zudem erläutert ein Experte die Nagelsmann-Taktik 

 

64 CRISTIANO RONALDO
Der Superstar von Manchester United ist wertvoll für seinen Club – als Fußballer genauso wie als mächtigster Influencer der Welt 

 

70 ROGER FEDERER 
Der Tennis-König kämpft um eine letzte Rückkehr auf den Court. Klappt das? 

 

78 DIE QUARTERBACK- EVOLUTION
Spieler wie Aaron Rodgers und Patrick Mahomes haben das Quarterback-Spiel auf ein neues Level gehoben. Eine Analyse 

 

88 SEBASTIAN VOLLMER
Der ehemalige Patriots-Profi spricht im Interview über die NFL-Games in Deutschland 

 

90 LUKA DONCIC 
Wie der neue Coach Jason Kidd den Mavericks-Star noch besser machen will 

 

96 OLYMPIA
Drei deutsche Snowboard-Hoffnungen im Porträt. Plus: Felix Neureuther über Klima, Spiele in China und die Zukunft des Sports 

 

104 LEON DRAISAITL 
Der deutsche NHL- Superstar spricht mit uns über Wayne Gretzky, Olympia und den Traum vom Stanley Cup 

 

110 ABER SICHER?
Ob man besser eine Maske tragen sollte (oder nicht), war auch im Sport ein lange umstrittenes Thema 

 

116 SI LEGENDS: MICHAEL JORDAN
Vor 30 Jahren kürte ihn Sports Illustrated zum „Sportsman of the Year“ – ein Rückblick 

 

124 WIR WOLLEN DOCH NUR SPIELEN 
Jede Sportkarriere – auch unsere – endet irgendwann. Wie können wir das Ende möglichst lange hinauszögern? Unser Autor macht sich auf die Suche 
 

Im relativ zarten Alter von 28 Jahren steht er allein auf dem Gipfel, nicht nur als berühmtester Sportler der Welt, sondern auch als einer der berühmtesten Erdenbürger überhaupt. Wir haben den Spruch schon so oft gehört, dass er inzwischen zum Klischee geworden ist – aber er ist nun mal wahr: Michael Jordan sprengt die Grenzen des Sports.

Zu Hause auf seiner Kommode hat er einen Meisterschaftsring liegen, und sollte sein Team in den kommenden sechs Saisonmonaten so weitermachen wie in den vergangenen zwei, wird bald der nächste hinzukommen. Bereits zweimal war er MVP – der „Most Valuable Player“ – und vermutlich schon vor Magic Johnsons Rückzug aus dem Profi-Sport der beste Basketballspieler der Welt. Dass ihm inzwischen keiner mehr das Wasser reichen kann, steht außer Frage.

Michael Jordan 1991 mit Meisterschaftstrophäe
Ein gerührter Michael Jordan mit der NBA-Meisterschaftstrophäe 1991
Credit: Getty Images
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Im Jahr 1992 wird er etwa 25 Millionen US-Dollar verdienen, davon nur 3,8 Millionen auf dem Spielfeld. Der Rest, 21,2 Millionen Dollar, stammt aus Werbeverträgen. Sein Name und sein Gesicht prangen auf Sneakern, Sandwiches, Softdrinks, Cornflakes-Packungen und weiteren Produkten. Er führt eine glückliche Ehe mit einer hinreißenden Frau, hat zwei entzückende Söhne, und seine Beziehung zu seinen Eltern ist so gut, dass selbst die kitschigste Soap nicht mithalten kann. Er ist ein bisschen anfällig für Sehnenentzündungen und hat einen Sporn im linken Knie, ansonsten aber ist er bei hervorragender Gesundheit. Sein Golf-Handicap liegt im einstelligen Bereich, und eine ganze Reihe Coaches steht auf Abruf zu seiner Verfügung.

Jordan, die Werbefigur
OMNIPRÄSENT: Allein mit Werbeverträgen verdient Jordan Anfang der 1990er-Jahre über 20 Millionen US-Dollar pro Jahr
Credit: Getty Images
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Und so kommt es, dass wir Michael Jeffrey Jordan – trotz einiger ästhetischer Schwächen wie Fastglatze, dürre Beine, überlange Basketballhosen und ständig heraushängende Zunge – zu unserem „Sportler des Jahres“ 1991 küren. Seit Gründung der Awards 1954 hat es keinen Athleten gegeben, der sich weltweit solcher Berühmtheit erfreute, wie Jordan es nun schon seit einigen Jahren tut. Er hat jedes Maß übertroffen, mit dem der Ruhm von Sportlern bisher gemessen wurde, und die Verherrlichung seiner Person nahezu ausnahmslos mit einer derart außergewöhnlichen Nonchalance behandelt, dass ihm die Sympathien von Menschen aller Alters- und Geschlechtergruppen sowie Hautfarben sicher sind. „Es finden sich kaum Worte für das Ausmaß seiner Beliebtheit und seinen Wert als Werbegesicht“, sagt Nova Lanktree, Leiterin von Burns Sports Service, einem Unternehmen aus Chicago, das seit mehr als zwei Jahrzehnten Werbeverträge an Sportler vermittelt. „Er ist ein einmaliges Phänomen. So etwas wie ihn hat es noch nie gegeben, und das wird es womöglich auch nie wieder.“ Doch so oft Jordans Einmaligkeit auch gefeiert wird – keiner dunkt, lächelt, verkauft Sneakers wie er –, es ist kein Zufall, dass er von Sports Illustrated erst jetzt geehrt wird, da seine Mannschaft, die Chicago Bulls, eine Meisterschaft gewonnen hat. Jordans siebenjährige NBA-Karriere war seltsamerweise gleichzeitig ein Raketenstart in den Starruhm und ein andauernder Rechtfertigungskampf. Viele NBA-Beobachter befanden, die Bulls müssten schon den großen Sieg heimholen, damit Jordan überhaupt Gelegenheit hat zu beweisen, dass er mehr ist als eine erfolgreiche Nebenattraktion oder ein langes, lautes Klingeln der Registrierkasse. Den Rest der Geschichte kennen wir: Die Bulls gewannen, Jordan lieferte seinen Beweis.

Das Hauptkriterium, an dem Superstars gemessen werden sollten, ist ihre Beständigkeit – die Fähigkeit, langfristig zu liefern. So wie Jordan es mit einem Punktedurchschnitt zwischen 22,7 und 37,1 während seiner acht Spielzeiten getan hat. Die Superstars aber, die wirklich unvergesslich bleiben, sind jene, die uns besondere Momente bescheren. Und von denen hat Jordan uns einige geschenkt: wie er sich bei den Playoffs im Boston Garden 1986 zwischen den Celtics durchschlängelte, um einmal 49 und einmal 63 Punkte zu machen. Wie er 1988 bei seinem All-Star-„Heim“-Spiel im Chicago Stadium 40 Punkte landete, um den MVP-Award zu gewinnen. Wie er sich übers gesamte Spielfeld dribbelte und mit einem 4,20-Meter-Sprungwurf Spiel 3 des Finales 1990 in die Verlängerung schickte, woraufhin die Bulls überraschend gewannen.
 

IST JORDAN DER GRÖSSTE Spieler aller Zeiten? Definitiv beantworten lässt sich diese Frage selbstverständlich nicht – genauso wenig wie damals bei Wilt Chamberlain, Oscar Robertson, Larry Bird oder Magic Johnson. Aber es spricht einiges dafür. Nur einer in diesem Quartett der ganz Großen – nämlich Chamberlain – konnte sich auch nur ansatzweise mit Jordans Physis messen. Doch das einmal beiseitegelassen, braucht man sich nur Jordans Technik und seine Fähigkeiten, das Spiel zu lesen, anzusehen: Jordan wirft inzwischen besser als Bird – auf jeden Fall aus unter sechs Metern. „Ich mache im Sommer nicht mehr sonderlich viel Wurftraining, deswegen verstehe ich es selbst nicht so ganz“, sagt Jordan. „Aber es ist eine Tatsache. Alles daran – die Mechanik, der Abwurfmoment, das Loslassen – fühlt sich besser und geschmeidiger an.“

Er wirft keine besseren Pässe als Magic in den 1980ern – würde er vermutlich aber, wären die Bulls so wie die Lakers ein Fast-Break-Team und wäre Jordan so wie Magic ein Point Guard. Und wenn er unter Druck an der Mittellinie den Ball abgeben und innerhalb von Sekundenbruchteilen einen freien Spieler finden muss, ist er unvergleichlich.

Jordan hat nie Rebounds aus dem gegnerischen Halbfeld geholt wie Robertson, der über 14 Spielzeiten hinweg einen Durchschnitt von 7,5 pro Spiel lieferte. Aber Big O spielte auch in einer Ära, in der er mit 1,95 Metern meist zu den größten Spielern auf dem Feld zählte, während Jordan im Zeitalter der 2,10-Meter-Spieler immerhin der zweitbeste Rebounding Guard seiner Zeit ist (Nummer eins ist Clyde Drexler von den Portland Trail Blazers). Jordan und Robertson haben einige Gemeinsamkeiten: Beide sind dynamische, anspruchsvolle und risikobereite Leader, die auf dem Spielfeld bedingungslosen Respekt einfordern. Aber Robertson war zwar ein fantastischer Sportler, doch er unterlag (im Gegensatz zu Jordan) dem Gesetz der Schwerkraft. Und: Er war nicht ansatzweise so aufregend.

Michael Jordan beim Dunking
AIR JORDAN: Schon im Jahr 1991 gilt Michael Jordan als der beste Basketballer aller Zeiten
Credit: Getty Images
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Kann Jordan ein Spiel beherrschen, so wie es einst Chamberlain tat – der Mann der 100-Punkte-Spiele mit dem 50,4-Punkte-Durchschnitt (1961/1962)? Nicht heutzutage, da ein Spieler durch Double-Teaming und Trapping manchmal über lange Zeiträume hinweg keine Chance hat, an den Ball zu gelangen. Aber mithilfe von unablässigem Training und einer Spielwut, wie sie Wilt nie an den Tag legte, kommt Jordan nah an ihn heran. „Jordan spielt jedes einzelne Spiel, als sei es sein letztes“, sagt Los-Angeles-Clippers-Guard Doc Rivers. Zudem legte Wilt nie das Maß an Voraussicht an den Tag, das Jordan schon zeigt, wenn er den Ball nur berührt. Raus kommt sie, die Zunge, der Kopf schwenkt von einer Seite zur anderen, laut knallt der Ball – Jordan dribbelt hart. Was passiert jetzt? Was macht er als Nächstes? Julius Erving schaffte es zwar, ähnlich dramatische Zitterpartien zu inszenieren, aber der Doctor besaß nicht Jordans Offensiv-Repertoire. 

Es mag schwer vorstellbar sein, weil sein Name schon so lange ein Begriff ist, aber Jordan befindet sich im Augenblick auf dem Höhepunkt seiner Karriere und könnte durchaus noch drei oder vier weitere Jahre lang MVP sein. Sein Vertrag läuft bis Ende der Saison 95/96. Danach, sagt Jordan, will er sich aus dem aktiven Sport zurückziehen. Vielleicht. Machen ihm keine Verletzungen einen Strich durch die Rechnung, erwarten uns ein Minimum von weiteren 12.000 Punkten, 1800 Rebounds, 1000 Steals und fünf Millionen Zungenansichten von der wundersamen Sportmaschine Air Jordan.

„Ich würde sogar dafür bezahlen, ihn trainieren zu sehen.“

„Michael ist der Beste“, sagt San-Antonio-Spurs-Coach Larry Brown. „Ich bin mit Connie Hawkins aufgewachsen. Habe Julius auf dem Gipfel seines Spiels gesehen. Niemand ist durch das ACC Tournament gerauscht wie David Thompson. Ich liebe Magic und Larry. Aber Michael ... nach allem, was ich gesehen habe ...“ Brown hält inne und schüttelt den Kopf. „Ich würde Geld dafür zahlen, ihn spielen zu sehen. Ich würde sogar dafür bezahlen, ihn trainieren zu sehen.“

 

ES GIBT AUGENBLICKE, in denen seine Mannschaftskollegen vermutlich viel Geld dafür bezahlen würden, dass Jordan nicht trainiert. Sein ans Psychotische grenzendes Konkurrenzdenken selbst in den informellsten Trainingssituationen hat im Lauf der Jahre für einigen Unmut gesorgt. Unter anderem davon erzählt der US-Bestseller „The Jordan Rules“ von „Chicago Tribune“-Redakteur Sam Smith. Aber hat Jordans Ehrgeiz denn letztlich jemandem geschadet? Immerhin hat er dafür gesorgt, dass die Bulls zähere Spieler geworden sind. Bis vergangenen Sonntag hatten sie 17 von 18 Spielen der laufenden Saison gewonnen.

Einer der besten Werder der NBA-Geschichte
NICHT UNUMSTRITTEN: Jordan gilt als übermäßig ehrgeizig und bekommt auch abseits des Courts Gegenwind
Credit: Neil Leifer
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Jordan spielt herausragend, auch wenn man absieht vom Scoring, einer Kategorie, in der er die NBA fünf Spielzeiten lang anführte und es mit seinem Durchschnitt von 29,5 erneut tun wird, oder der Shooting Percentage (53.1, Platz 2 in der Liga unter den Guards). Zusammen mit den Forwards Scottie Pippen und Horace Grant bildet er ein Defensiv-Bermudadreieck, in dem Offensiven einfach verloren gehen, da die drei das gesamte Feld abdecken. Und das ist der Grund dafür, dass Chicago die beste Mannschaft der NBA ist. Jordans Kritiker unterstellen ihm gern, er würde im Augenblick zurücktreten, um Spielern wie Pippen und Grant ebenfalls Raum zu bieten, sich einen Namen zu machen. Aber Tatsache ist, dass Jordans Wille zum Erfolg seine Mannschaftskollegen dazu animiert hat, ebenfalls ihr volles Potenzial auszuschöpfen. „Ich freue mich heute mehr aufs Spielen als je zuvor“, sagte Jordan kürzlich, als er vor einem Spiel gegen die Golden State Warriors in seiner Hotelsuite im kalifornischen Berkeley entspannte. „Es ist der einzige Ort, an dem ich mich von dem erholen kann, was jenseits des Spielfelds passiert. Bis zu einem gewissen Grad war das immer schon so, aber nie so sehr wie jetzt. Basketball ist meine Zuflucht. Alles andere ist so ... hektisch und kompliziert.“

1991 – Was in diesem Jahr sonst noch passierte

1. FC Kaiserslautern feiert Meisterschaft 1991 (vorne mit Schale: Kapitän Stefan Kuntz)
LAUTERN WIRD MEISTER: Der 1. FCK holt mit Kapitän Stefan Kuntz überraschend die deutsche Fußball-Meisterschaft
Credit: Imago
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Arnold Schwarzenegger in "Terminator 2"
ARNIE RECHNET AB: „Terminator 2“ mit Arnold Schwarzenegger in der Hauptrolle ist einer der Blockbuster des Jahres
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Zweiter Golfkrieg in Nahost
DER ZWEITE GOLFKRIEG: Im Nahen Osten eskaliert der Konflikt zwischen Irak und einer Koalition unter US-amerikanischer Führung
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Nirvana "Nevermind" Album-Cover
GRUNGE EROBERT DIE MUSIK: Mit „Nevermind“ prägen Nirvana um Kurt Cobain eine ganze Stilrichtung, es gilt als Album des Jahrzehnts
Credit: PR
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HEKTISCH IST er gewöhnt. Kompliziert eher weniger. Zum vielleicht ersten Mal in seinem Leben spürt Jordan Gegenwind, eine subtile Unzufriedenheit mit dem Gesamtkonzept Michael Jordan. Sie schwang mit in der Debatte um „The Jordan Rules“, in Leserbriefen und anderswo. „Es zeigen sich erste Anzeichen, dass die Leute es leid sind, von Michael Jordans positivem Image und seinem positiven Einfluss zu hören“, sagt Jordan höchstpersönlich. „Fünf, sechs, sieben Jahre auf dem Höhepunkt des Erfolgs, und die Sache wird kippen. Ich habe immer versucht, eine positive Stimmung zu verbreiten. Die Leute sagen, dass die Welt Vorbilder benötigt, und ich finde nicht, dass es negative Vorbilder geben sollte. Wenn man ein negatives Vorbild will, fragt man nicht nach Michael Jordan. Man fragt nach Leuten wie Mike Tyson. Rückblickend be- trachtet, habe ich mich womöglich geirrt. Vielleicht hätte ich mehr negative Seiten zeigen sollen, damit die Leute mich auch als Mensch wahrnehmen. Ich schätze, ich hätte ehrlicher mit einigen meiner Fehlentscheidungen umgehen können. Wie zum Beispiel damals, als ich meinem Mannschaftskollegen Will Perdue ins Gesicht geschlagen habe. Das war ein Fehler, über den ich hätte reden sollen (was stattdessen Smith in „The Jordan Rules“ tat). Ich habe ein paar falsche Werbeverträge unterschrieben, wie den für die „Time Jordan“ (mit dem kanadischen Uhrenhersteller Excelsior. Aus der Sache wurde nie etwas). Aber was weiß man schon von solchen Dingen, wenn man 21, 22 Jahre alt ist? Man reift mit der Erfahrung, aber wenn alles anfängt, ist man einfach noch nicht bereit dafür.“ Es gibt nicht viele 28-jährige Multimillionäre, die so reflektiert mit ihrem Image umgehen müssen, und aller Wahrscheinlichkeit nach wird aus dieser Phase der Innenschau ein vorsichtigerer, weniger kindlicher Jordan hervorgehen. David Burns, Geschäftsführer von Burns Sports Service, findet allerdings ohnehin nicht, dass Jordan Gegenwind zu spüren bekommt: „Er ist genauso unfassbar beliebt wie eh und je und jeden Cent wert, den seine Werbepartner ihm bezahlen.“ Aber Jordan hat dennoch den Eindruck, er sollte das Pfeifen im Wald ernst nehmen, wenn er nicht plötzlich von einem D-Zug überrollt werden will. Als Gegenmittel zu der Übersättigung der Öffentlichkeit plant er, sich ein wenig aus dem Rampenlicht zurückzuziehen. „Ich brauche meinen Namen nicht in den Schlagzeilen zu sehen, um weiterzumachen“, sagt Jordan. „Ich weiß, man denkt das Gegenteil über mich, aber es ist so. Hätte man mir auf dem College erzählt, mein Gesicht würde in einem Jahr weltbekannt sein und Millionen Menschen würden meinen Namen kennen, hätte ich alle für verrückt erklärt. Natürlich hab ich nicht Nein gesagt, als es so kam, aber darum bemüht habe ich mich auch nicht.“ Aber jetzt ist es nun einmal so, und sobald Michael Jordan zum Thema wird, droht das Gespräch in einen globalen Marketingbericht abzudriften.

Das Fazit: Jordan hat gewonnen. Game over. Finden wir uns damit ab und freuen wir uns einfach, den besten Basketballspieler der Welt auf der Höhe seines Könnens erleben zu dürfen. Schließlich ist es das Spiel, das Jordan zu dem machte, was er heute ist, und glücklicherweise ist eben dieses Spiel noch immer sein Lebensinhalt. Er mag vorhaben, das Rampenlicht zu verlassen. Aber so schnell wird das nicht passieren. Nicht solange in seinen Air Jordans noch die Energie für einen letzten Slam-Dunk steckt und ein Funken Konkurrenzdenken in ihm glüht. Die Aussicht vom Gipfel ist atemberaubend, und es gibt keinen Ort, an dem Jordan lieber wäre. Und wir? Wir sollten einfach voller Bewunderung zu ihm aufsehen – denn so schnell wird es einen Zweiten wie ihn nicht geben.


Cover Sports Illustrated 1991
Michael Jordan als "Sportsman of the Year" 1991 auf dem Cover der Sports Illustrated
Credit: Getty Images
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